Was ist ein Restnutzungsdauergutachten?
Es gibt verschiedene Methoden, eine Immobilie zu bewerten. Darunter eignet sich das Vergleichswertverfahren, um den Immobilienpreis für den Verkauf zu bestimmen, Gutachten bieten dagegen eine Rechtssicherheit gegenüber Behörden und Gerichten. In einem Fall ist aber selbst ein typisches Verkehrswertgutachten eines Sachverständigen nur in Ausnahmen ausreichend: bei der Berechnung der Restnutzungsdauer. In diesem Fall benötigen Sie ein besonderes Restnutzungsdauergutachten. Alternative Bezeichnungen sind unter anderem Nutzungsdauergutachten oder Bausubstanzgutachten. Wir erläutern Ihnen, wann Sie eine solche Bewertung benötigen, welche Besonderheiten zum Tragen kommen und warum das für Sie steuerlich sehr interessant sein kann.
Warum ist die Restnutzungsdauer einer Immobilie wichtig?
Die Restnutzungsdauer von Immobilien ist sehr lang. Derzeit gelten die folgenden steuerlichen Annahmen, die zugleich auf die AfA (Abschreibungsmöglichkeiten) wirken:
- Immobilien, die vor 1924 gebaut wurden, haben eine Nutzungsdauer von 40 Jahren und können mit 2,5 Prozent pro Jahr abgeschrieben werden.
- Immobilien, die zwischen 1924 und 2022 gebaut wurden, haben eine Nutzungsdauer von 50 Jahren und können mit zwei Prozent pro Jahr abgeschrieben werden.
- Immobilien, die ab 2023 gebaut wurden, haben eine Nutzungsdauer von 33 Jahren und können mit 3 Prozent pro Jahr abgeschrieben werden.
Für einige Immobilienbesitzer sind diese angenommenen Nutzungsdauern aber zu lang. Das Einkommensteuergesetz sieht in § 7 Abs. 4 EStG eine entsprechende Anpassung vor.
Speziell im Gewerbebereich gibt es viele Fälle, in denen Sie möglicherweise ein Bauwerk von vornherein kurzlebiger anlegen oder Sie es aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht so lange nutzen können oder wollen. Selbst bei Wohnimmobilien kann das zutreffend sein. Zusätzlich können Einbauten und Umbauten die Nutzungsdauer verändern. Typische Beispiele für kürzer nutzbare Immobilien sind Gastronomiebetriebe, Bedarfslagerhallen, Diskotheken oder ähnliche Bauwerke.
Besonders steuerliche Effekte sind für Eigentümer wichtig
In diesen und ähnlichen Fällen ist es ratsam, wenn Sie die tatsächliche Restnutzungsdauer mit einem Gutachten bestimmen lassen. Das Ergebnis kann drei Effekte haben:
- Effekt auf die Steuern: Eine kürzere Restnutzungsdauer steigert die jährliche Abschreibungssumme. Da dieser Punkt für Sie in vielen Fällen das entscheidende Kriterium ist, erläutern wir das im folgenden Text genauer.
- Effekt auf geplante Investitionen: Die ermittelte Restnutzungsdauer ist relevant für Ihre Entscheidungen über weitere Investitionen in das Projekt. Durch ein Restnutzungsdauergutachten können Sie gezielter planen.
- Effekt auf die Wertermittlung: Die Restnutzungsdauer hat einen Einfluss auf die Immobilienbewertung. Je größer die ermittelte Jahreszahl, desto höher fällt in der Regel der berechnete Wert aus.
Das heißt: Immer dann, wenn Sie meinen, dass die in den verschiedenen Gesetzeswerken veranschlagten Nutzungsdauern nicht passend sind, sollten Sie ein entsprechendes Gutachten anfertigen lassen. Das gilt als Nachweis gegenüber Behörden, insbesondere dem Finanzamt. Auf diese Weise kommen Sie zum Beispiel in den Genuss von steuerlichen Vorteilen.
Der typische Anwendungsfall: kürzer laufende Abschreibungen Als Eigentümer einer Immobilie können Sie die Kosten einer Immobilie nicht pauschal als Ausgabe steuerlich geltend machen. Sie können aber über die Nutzungsdauer hinweg die oben genannten Anteile pro Jahr abschreiben. Die so ermittelte Summe nach AfA wird dann von Ihren Einnahmen bzw. Ihrem Einkommen, abgezogen und wirkt dadurch steuermindernd.
Beispielrechnung für eine Nutzungsdauerverkürzung
Ein Beispiel: Sie kaufen ein vermietetes Haus für 500.000 Euro, das aus dem Jahr 2008 stammt. Sie dürfen laut AfA den Kaufpreis über 50 Jahre mit jeweils zwei Prozent pro Jahr steuerlich abschreiben. Das heißt: 10.000 Euro pro Jahr werden bei der Einkommensteuer als Ausgaben abgezogen und erst danach wird die Einkommensteuer berechnet. Ausgehend vom maximalen Steuersatz von 42 Prozent ergibt das eine Netto-Steuererleichterung von 4.200 Euro pro Jahr.
Das Problem: Die Abschreibungsfrist ist sehr lang. Daher haben Sie möglicherweise ein Interesse, diese Zeitspanne zu verringen und gleichzeitig den maximalen Abschreibungsbetrag pro Jahr zu steigern.
Das lässt sich nachvollziehen, wenn durch ein Restnutzungsdauergutachten die Abschreibungsdauer für Ihre Immobilie auf zehn Jahre reduziert wäre. Da die Abschreibung am Ende der Nutzungsdauer bei 100 Prozent liegen muss, wäre die maximale Abschreibungssumme 50.000 Euro pro Jahr. Nach Versteuerung mit 42 Prozent betrüge die Steuererleichterung 21.000 Euro im Jahr. Damit hätten Sie satte 16.800 Euro mehr Cashflow als bei der normalen Abschriebung, den Sie anderweitig nutzen können.
Wichtig: Effekt des Restnutzungsdauergutachtens Individuell prüfen
Aber Achtung: Nach Ablauf der verkürzten Abschreibungsphase gibt es gar keine Steuererleichterungen mehr. Denn der Steuereffekt durch die Abschreibung wird nur vorgeholt. Es lohnt sich also nicht, wenn Sie langfristig von Abschreibungsmöglichkeiten profitieren möchten.
Zudem kann eine kürzere Nutzungs- und Abschreibungsdauer für Sie nachteilig bei einem Verkauf sein, da die Abschreibungssumme möglicherweise Ihre zu zahlende Einkommensteuer erhöht. Ihren individuellen Fall sollten Sie daher mit einem Steuerberater genau beleuchten, bevor Sie ein Restnutzungsdauergutachten beauftragen.
Was ist beim Restnutzungsdauergutachten zu beachten?
Das Restnutzungsdauergutachten unterscheidet sich in einigen Punkten wesentlich von einem Verkehrswertgutachten. Es ist sogar ein explizit anderes Verfahren. Die Finanzämter erkennen andere Gutachten häufig nicht als Nachweis einer verkürzten Restnutzungsdauer an. Das Bundesfinanzministerium hat seinerseits die Finanzbehörden am 22. Februar 2023 angewiesen, für diesen Zweck ein Restnutzungsdauergutachten anzuerkennen.
Voraussetzung für eine verkürzte Nutzungsdauer sind unter anderem eine wirtschaftliche Entwertung, technischer Verschleiß oder rechtliche Beschränkungen. Diese Gründe sind insbesondere im Gewerbebereich an der Tagesordnung. Bei Wohnimmobilien sind Verkürzungen der Nutzungsdauer seltener und nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich, die stark mit der Bauweise oder fehlenden Modernisierungen des Gebäudes zusammenhängen.
Eckwerte sind entscheidend
Jede Immobilie muss einzeln geprüft und bewertet werden. Sie müssen außerdem einen spezialisierten Gutachter beauftragen, der die Immobilie nicht nur anhand von Unterlagen prüft, sondern auch vor Ort begutachtet. Dieser Gutachter muss öffentlich bestellt und vereidigt sein oder zu einem Anbieter gehören, der nach DIN EN ISO/IEC 17024 zertifiziert ist.
Die Kosten sind von der Immobilie abhängig und in der Regel im niedrigen vierstelligen Bereich anzusiedeln. Die Ausgaben lohnen sich, denn das Finanzamt erkennt das Restnutzungsdauergutachten möglicherweise nicht an, wenn die Vorgaben nicht eingehalten werden. Das ist zum Beispiel bei Gutachten der Fall, die nicht von einem qualifizierten Sachverständigen erstellt oder ohne Prüfung vor Ort entstehen.